Hermann Hesse

Roßhalde

S. Fischer / Verlag
BERLIN
1914

Erste bis zehnte Auflage.
Alle Rechte vorbehalten, besonders die der Übersetzung;
für Rußland auf Grund der deutsch-russischen Übereinkunft.
Copyright 1914 S. Fischer, Verlag, Berlin.

Roßhalde

Erstes Kapitel

Als vor zehn Jahren Johann Veraguth Roßhaldegekauft und bezogen hatte, war sie ein verwahrlosteralter Herrensitz mit zugewachsenen Gartenwegen,vermoosten Bänken, brüchigen Treppenstufenund undurchdringlich verwildertem Park gewesen,und es standen damals auf dem wohl achtMorgen großen Grundstück keine anderen Gebäudeals das schöne, etwas verkommene Herrenhaus mitdem Stall und ein kleines tempelartiges Lusthäuschenim Park, dessen Portal schief in verbogenen Angelnhing und an dessen einst mit blauer Seide tapeziertenWänden Moos und Schimmel wuchs.

Sofort nach dem Kauf des Gutes hatte der neueBesitzer das baufällige Tempelchen niedergerissen undnur die zehn alten Steinstufen stehen lassen, die vonder Schwelle dieses Liebeswinkels an den Rand desWeihers hinabführten. An Stelle des Parkhäuschenswurde damals Veraguths Atelier erbaut, und siebenJahre lang hatte er hier gemalt und den größerenTeil seiner Tage zugebracht, seine Wohnung aberdrüben im Herrenhaus gehabt, bis die zunehmendenZerwürfnisse in seiner Familie ihn dazu gebrachthatten, seinen älteren Sohn zu entfernen und aufauswärtige Schulen zu schicken, das Herrenhaus derFrau und Dienerschaft zu überlassen und für seineneigenen Bedarf zwei Zimmer an das Atelier anzubauen,wo er nun seither wie ein Junggeselle wohnte.Es war schade um das schöne herrschaftliche Haus;Frau Veraguth brauchte mit dem siebenjährigenPierre nur das obere Geschoß, sie empfing wohl Besucheund Gäste, aber niemals größere Gesellschaft,und so stand eine Reihe von Räumen jahraus jahreinleer.

Der kleine Pierre war nicht nur der Liebling beiderEltern und das einzige Band zwischen Vaterund Mutter, das eine Art von Verkehr zwischen Herrenhausund Atelierhaus aufrechterhielt; er wareigentlich auch der einzige Herr und Besitzer der Roßhalde.Herr Veraguth bewohnte ausschließlich seinAtelier und die Gegend um den Waldsee sowie denehemaligen Wildpark, seine Frau herrschte drübenim Haus, ihr gehörte der Rasenplan, der Lindengartenund der Kastaniengarten, und jedes sprach imGebiete des anderen nur selten und gastweise vor,von den Mahlzeiten abgesehen, die der Maler meistensim Herrenhause einnahm. Der kleine Pierrewar der einzige, der diese Trennung des Lebens undTeilung der Gebiete nicht anerkannte und kaum vonihr wußte. Er lief im alten wie im neuen Hausegleich sorglos aus und ein, er war im Atelier undin des Vaters Bibliothek ebenso heimisch wie imKorridor und Bildersaal drüben oder in den Zimmernder Mutter, ihm gehörten die Erdbeeren imKastaniengarten, die Blumen im Lindengarten, dieFische im Waldsee, die Badehütte, die Gondel. Erfühlte sich als Herr und als Schützling bei den Mädchender Mutter wie bei Papas Diener Robert, erwar der Sohn der Hausfrau für die Besuche u

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