1922
Jakob Hegner, Hellerau
Ich bin ein alter Straßenkehrer. Ich arbeite nur drei Stundentäglich; denn meine Kräfte sind nicht mehr groß. Daher habeich viel Zeit; ich will also die Ereignisse meines Lebens niederschreiben.Es mag als Leben eines Straßenkehrers unwichtigerscheinen; dennoch ist es nicht unwichtig. Verzeiht, daß ichnur einfach schreibe. Ich kann keine japanisch gedrehten Sätzeformen; auch verstehe ich nichts vom klugen Aufbau der Handlung.Das alles kann ich nicht. Es wäre hier auch nicht notwendig;es ist ein Bericht.
Es war November. Es war ein Wald. Die Bäume standen im rötlichenSchimmer müder Sonne. Nebel gab es noch nicht; nureine kleine Moosausdünstung, feucht und schwer, verriet dieunsommerliche Zeit. Tannen und Fichten rochen nach Harz.Ein Hase, noch jung und neugierig, war seiner Familie entlaufen.Er hatte sich verirrt, weil Nadelbäume und Moos, Moos undNadelbäume wechselten. Der Hase keuchte. Dunkelheit kamund verlöschte letzte Sonne. Da schleppte sich der Hase nochein wenig weiter; dann konnte er aber nicht mehr. Er strecktedie Läufe von sich und schlief. Der Morgen war hell. Als derHase erwacht war, sah er Wunderbares: der Wald war zu Ende.Er selbst lag am Saum. Vor ihm eine weite, weite Ebene, grünund grau und gelb. Und rückwärts lagen die Wolken auf derErde und schliefen. Ängstlich drehte sich der Hase um: da warder Wald, der schwarze Wald. Schnell schaute er wieder auf dieEbene hinaus: sie schien ihm gut, Weib, Mutter zu sein. DerWald ist schwarz, der Wald ist böse, der Wald ist ein Mann. Undseine Blicke hasteten über das große mütterliche Feld. Dastockte sein Auge, sein linkes Ohr erschrak und schnellte spitzin die Höhe: dort, dort, dort . . . lag etwas, in der Mitte, breit undwuchtig. Sein Herz klopfte; er hörte dieses Klopfen, dumpf undschwer. Er war nicht feige, dennoch überlegte sein kleinesHirn, ob er zurückfliehen sollte in die Finsternis des Waldes,der hinter ihm lag wie ein drohendes Ungetüm, oder ob er aufdas fremdartige Etwas zugehen sollte. Seine Beine waren flink,flinker noch seine Neugier. Da sprang er: hin lief der Hase überdie vergrünten Felder. Größer und größer wurde der Block; erunterschied Linien, Gewölbtes, dann große Löcher, die wieWasser glänzten. Da hockte er nieder, überlegte, ließ seine Ohrenspielen. Sein Herz war noch immer rege; es pochte jedochschon leiser. Die Augen aber schwammen in einem Meer vollNeugier. Knapp vor ihm waren hohe Stäbe aufgerichtet; dahinterlag geackerte Erde. Er schlich durch den Zaun, lief überden frisch aufgeworfenen Humus und stand vor etwas Hohem,das höher, größer und breiter war als ein Baum. Er legte seinePfoten vorsichtig an und fühlte kalten Stein. Da war ein Einschnitt,dunkel gewölbt, er nahm Anlauf, und mit einem Satzwar er drin, in dem unbekannten Bereich. Hier war der Bodenweich und rot; seltsam verwachsene Bäume erschienen ganzunkenntlich; glatt, glänzend, behangen mit fremdartigen Gräsern.An der Decke war kein Himmel sichtbar; trotzdem glitzertealles und schillerte. Er sprang, — diesmal wohl aus Angst —und stieß an einen Gegenstand, der umfiel und zerbrach. Esklang, als wurden kleine Vögel getötet. In Sehnsucht nach dermütterlichen Haide suchte er einen Ausweg. Er fand keinen. Sodrückte er sich in eine Ecke, hörte auf das Klopfen seines scheuenHerzens und auf das schnelle Keuchen seiner gehetztenLunge. Seine Augen suchten unterdessen und fanden nichts.Lärm und Geschrei war zugleich wie eine Erschütterung derErde. Ein Schlag dröhnte durch die Luft, ein fremdes Wesen, nurauf zwei Füßen gehend, stürzte herein. Keuchen erfüllte