Gerstäcker

Der Kunstreiter

1. Band


Bosse & Co., Hamburg
1914

1.

Auf der Hauptpromenade der Residenzstadt ***herrschte heute, bei dem außerordentlichfreundlichen und warmen Wetter, reges Leben.Dieser Platz lag am entferntesten von dem Meßtreiben,das gerade jetzt die übrige Stadt erfüllte,und zahlreiche Equipagen fuhren aufund ab, während das schattige Laub der Parkanlagenselbst eine Menge Fußgänger angelockthatte. Da kam plötzlich eine ganz ungewohnteBewegung in die vor wenigen Minutennoch so ruhig Promenierenden. Ein großerVolkshaufe wälzte sich von oben die breiteHauptstraße herab, und die Equipagen drehtenum und fuhren aus dem Wege, währenddie meisten der Fußgänger dem Schwarmeebenfalls auszuweichen suchten.

Zwei junge Damen, von einem Kürassieroffizierbegleitet, blieben unschlüssig stehen undsahen den Weg hinauf.

»Wenn wir zurückgehen,« sagte die älterevon ihnen, »so verfehlen wir jedenfalls Papa,der gerade in dieser Stunde aus dem Ministeriumkommt, und wir haben versprochen, ihmbis hierher entgegen zu gehen. Was kanndas nur sein?«

»Jedenfalls irgend ein Meßzug,« erwiderteder Offizier, »wenn wir einen Augenblick inder Veranda jenes Cafés Schutz suchen, wirdsich die Menge vorüberwälzen und verlaufen.«

Unter der mit allen möglichen Blumen undPflanzen der Tropenwelt geschmückten Verandafand sich so nach und nach in gleicher Absichteine zahlreiche Gesellschaft von Herren undDamen ein, und wie sich dort eine Menge Bekanntetrafen, sammelten sich plaudernd undlachend kleine Gruppen.

Unter einem in vollen Blüten prangendenGranatbaume hatte sich die junge, reizende KomtesseMelanie, die Tochter des Kriegsministersvon Ralphen, mit ihrer jüngeren Schwester aufein paar leichte Rohrfauteuils niedergelassen.Der Menschenschwarm stockte oben in derStraße, und es dauerte eine Zeitlang, bis er sich wieder in Bewegung setzte. Die junge Komtessehielt einen Becher mit Erdbeer-Gefrorenem inden zarten Fingern, nur langsam dann undwann daran kostend, und neben ihr, beide Händeauf den zwischen seinen Knieen stehenden Pallaschgestützt, saß Graf Wolf von Geyerstein,Rittmeister eines Kürassier-Regiments in ***schenDiensten. Graf Geyerstein stammte auseiner alten, norddeutschen Familie und war eindeutscher Edelmann im schönsten Sinne desWortes. Von ernstem, für seine Jahre vielleichtzu ernstem Wesen, mischte er sich dabeiselten oder nie in die leichtfertigen Vergnügungender Kameraden, und wenn ihn auch manchefür stolz und kalt hielten, schlug doch ein füralles Gute warmes Herz in seiner Brust.

In diesem Augenblicke hatte aber die reizendePlauderin an seiner Seite den Ernst ausden edlen Zügen gebannt. Das offene, dunkleAuge hing lächelnd an den Lippen der schönenNachbarin und lauschte, weniger dem Sinn, alsdem Klange der Worte, die wie das Rauscheneines murmelnden Waldquells zu ihm drangen.

»Aber nun sagen Sie mir um Gottes willen,an was Sie jetzt gedacht haben!« unterbrachsich da Melanie, indem sie ihren kleinen Tellersenkte und sich halb gegen ihren Nachbarwandte.

»Ich, Komtesse?« rief der Graf, halb erschrecktwie aus einem Traume auffahrend, under fühlte dabei, daß er errötete, »wahrhaftignur an Sie.«

»An mich?« sagte die Dame, ungläubigmit dem Kopfe schüttelnd, »und zweimal habeich Sie indes gefragt, ob Sie den jungen GrafenSelikoff schon gesprochen, ohne daß Sie mirauch nur mit einer Silbe geantwortet hätten.«

»Und doch war ich nur bei Ihnen,« entgegnetemit he

...

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